Internationales Symposium
"Musikkulturelle Beziehungen zwischen Böhmen und Sachsen im 18. Jahrhundert: Musikermigration und Musikalientransfer"

Dresden, 7. und 8. November 2008 im Blockhaus am Neustädter Markt 19, Konferenzraum Zwischengeschoss, Beginn: 14 Uhr

Veranstaltet vom Lehrstuhl Musikwissenschaft der TU Dresden in Verbindung mit dem Institut zur Erforschung und Erschließung der Alten Musik in Dresden (Musikschätze aus Dresden) und der Karls-Universität Prag.

Schirmherr: Botschafter Dr. Jiří Gruša

Zu den interessantesten Fragen der Musikgeschichtsschreibung zählen solche nach dem kulturellen Austausch über politische, konfessionelle, Zoll- und Währungsgrenzen hinweg. Insbesondere zwischen Böhmen und Sachsen bestanden im 18. Jahrhundert vielfältige musikkulturelle Verbindungen. Immer wieder wurde die hohe Musikalität böhmischer Musiker hervorgehoben, Böhmen sogar als "Pflanzschule der europäischen Musik" apostrophiert. Es nimmt daher nicht wunder, dass unzählige Musiker im 18. Jahrhundert Böhmen via Europa verlassen haben, um vor allem in Hofkapellen ein berufliches Fortkommen zu finden. Dafür stehen die Namen Stamitz in Mannheim, Benda in Berlin und Zelenka in Dresden. Bezogen auf den sächsischen Raum und den gewählten Zeitraum 18. Jahrhundert wurden solche musikkulturelle Beziehungen erst in Ansätzen untersucht. Gegenwärtige Forschungen, z. B. zur Mannheimer Hofkapelle, unterstreichen aber, wie zentral solche Fragestellungen sind. Institutionen wie die Dresdner Hofkapelle, am Hof in Dresden bzw. im öffentlichen Konzertwesen erkennbare Repertoireschwerpunkte und in Dresden vorherrschende musikalische Idiome sind ganz maßgeblich durch böhmische Einflüsse geprägt, so dass die angesprochene Problematik zugleich einen ganz aktuellen Aspekt aufweist, nämlich den der musikalischen Überlieferung. Die Zeugnisse böhmischer Musikkultur, etwa im Repertoire der Dresdner Hofkapelle, haben sich größtenteils erhalten und stellen einen unausgeschöpften kompositorischen Fundus dar, der der heutigen Musiköffentlichkeit nicht vorenthalten werden sollte.

Die Veranstalter beabsichtigen, insbesondere mit der Thematik befasste tschechische und deutsche Musikforscher zu einem wissenschaftlichen Disput einzuladen. Darüber hinaus sollen musikhistorische Forschungen zum böhmischen Einfluss in Mannheim, Berlin, Warschau, Paris, London paradigmatisch in ausgewählten Beiträgen vorgestellt werden. Darin geht es u. a. um einige Schwerpunkte wie historische und politische Bedingungen in Mitteleuropa im 18. Jahrhundert unter besonderer Berücksichtigung Böhmens und Sachsens.

  • Böhmische Musiker an ausgewählten europäischen Residenzen (Biographie, soziale Stellung und Sozialstatus, Pflichtenspektrum, Besoldung u. a.)
  • Böhmische Musiker in Dresden (Biographie, soziale Stellung und Sozialstatus, Pflichtensprektrum, Besoldung u. a.)
  • Stilistik und Kompositionstechnik (gibt es einen "stile bohemica"?, Gattungspräferenzen, National- und Individualstile u. a.)
  • Repertoireschwerpunkte und funktionale Aspekte (Hofmusik, öffentliches Konzertwesen, Hausmusik, Verlagswesen, Pränumeration u. a.)
  • Rezeption (Böhmische Musiker und Musik im Spiegel der Tages- und Musikpresse u. a.)
  • Musiktheorie und Instrumentenbau
  • Zur Überlieferung musikalischer Quellenkomplexe böhmischer Komponisten in europäischen Bibliotheken (Schwerpunkt: SLUB Dresden) und ihrer Nutzbarmachung für das heutige Konzertwesen

Das wissenschaftliche Organisationsbüro des Symposiums wird durch Herrn Dr. Wolfgang Mende vom Lehrstuhl Musikwissenschaft der TU Dresden betreut.

Programm und Referenten

Freitag, 7.11.2008

14:00 Uhr Begrüßung und Grußworte
Schirmherr Dr. Grusa (verlesen von Dr. Claus-Dieter Heinze, An-Institut Musikschätze aus Dresden)
Prof. Dr. Bruno Klein, Studiendekander Philosophischen Fakultät der TU Dresden,
Dr. Reiner Zimmermann, An-Institut Musikschätze aus Dresden
Tagungsleitung: Prof. Dr. H.-G. Ottenberg

14:30 Uhr Dr. Ortrun Landmann (Dresden):
Böhmische Musiker in der Dresdner Hofkapelle

15:00 Uhr Dr. Armin Schmid (Regensburg):
Zwischen Rumburg und Bautzen: Anmerkungen zu Johann Christoph Kridel (1672-1733)

16:00 Uhr Dr. Vaclav Kapsa (Prag):
Reichenauer, Postel, Möser, Jíranek... Morzinische - Musiker und deren Musik als eine weitere Beziehungslinie zwischen Prag und Dresden

16:30 Uhr Dr. Michaela Freemanová (Prag)
Johann Adolf Hasses oratorios,performed in the Bohemian Lands

19:30 Uhr Konzert Annenkirche Dresden, Werke von Vivaldi, Albinoni, B. Marcello, Collegium 1704

Sonnabend, 8.11.2008

Tagungsleitung: Prof. Dr. T. Volek

09:00 Uhr Prof. Dr. Klaus-Peter Koch (Bergisch Gladbach):
Böhmische Musiker waren in Sachsen des 18. Jahrhunderts nicht nur in Dresden. Anmerkungen zur böhmischen Musiker-Migration

09:30 Uhr Dr. Hrosvith Dahmen (Dresden):
Zur Prager-Dresdner Kirchenmusik unter besonderer Berücksichtigung der Messen von F. X. Brixi

10:00 Uhr Dr. Marc Niubo (Prag):
Opera between Prague and Dresden

11:00 Uhr Dr. Daniela Phillipi (Prag):
Zur unterschiedlichen Überlieferungssituation der Werke Christoph Willibald Glucks in Böhmen und Sachsen

11:30 Uhr Dr. Milada Jonasova (Prag):
Così fan tutte, Prag und Dresden 1791

Tagungsleitung: Prof. Dr. K.-P. Koch

14:00 Uhr Prof. Dr. Hans-Günter Ottenberg (Dresden):
Instrumentalwerke böhmischer Komponisten in der Dresdner Hofmusik des 18. Jahrhunderts - Funktionale und rezeptionsgeschichtliche Aspekte

14:30 Uhr Dr. Jirí Mikulás (Prag):
Der Prager Komponist Vinzenz Meachek (1755-1831) und Sachsen

15:00 Uhr Prof. Dr. Tomislav Volek (Prag):
Die Mannfeldschen und die Thunschen Hornisten

16:00 Uhr Dr. Undine Wagner (Chemnitz):
Böhmen – Polen – Sachsen – Preußen. Franz Benda und seine Beziehungen zu Mitgliedern der Dresdner Hofkapelle

16:30 Uhr Prof. Dr. Alina Zórawska-Witkowska (Warschau):
Tschechische Musiker in Warschau im 18. Jahrhundert

17:00 Uhr Roland Biener, M.A. (Berlin):
In der Ferne heimatverbunden? Antonio Rosetti und die böhmischen Quellen

Sonntag, 9. 11. 2008

Hinweis: Am 15. November 2008, 19:00 Uhr, findet in der Allerheiligen-Basilika von Ceská Lípa ein weiteres Konzert mit thematischem Bezug zum Symposium statt: Es erklingt das Oratorium „I penitenti al sepolcro del Rendentore“, ZWV 63, 1736, von Jan Dismas Zelenka, Ausführende: „Collegium 1704“. Für Mitwirkende des Symposium stehen Freikarten zur Verfügung.

Organisationsbüro: Sebastian Biesold, Lehrstuhl Musikwissenschaft der TU Dresden; Lars Klünder und SHK

Projektträger
TU Dresden, Lehrstuhl Musikwissenschaft in Zusammenarbeit mit dem Institut zur Erforschung und Erschließung der Alten Musik in Dresdner (Musikschätze aus Dresden) e.V. sowie der Philosophischen Fakultät der Karls-Universität Prag

Förderer
Deutsch-Tschechischer Zukunftsfonds, Prag, Sächsisches Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst, Gesellschaft der Freunde und Förderer der Technischen Universität Dresden

Projektkoordination
Christian Zimmermann, beauftragt vom Institut zur Erforschung und Erschließung der Alten Musik in Dresdner (Musikschätze aus Dresden) e.V.

Grußwort

des Schirmherrn, Direktor der Diplomatischen Akademie Wien und Botschafter a. D.
Dr. Jiří Gruša

Der Weg von Prag nach Dresden ist für Künstler nie sehr weit gewesen, gewiss länger als heute, wo eine neue Autobahn die Distanz auf 1 ½ Stunden schrumpfen lässt. Aber auch zu Fuss oder in einer Kutsche war die Strecke nicht unüberwindlich. Weshalb aber so viele böhmische Musiker, gut ausgebildet, ausgerechnet den Weg nach Dresden suchten, hing mit dem guten Ruf und dem guten Klang der Dresdner Hofkapelle zu Beginn des 18. Jahrhunderts zusammen, der auch bis Prag gedrungen war. Andere Musiker zogen weiter, bis nach Mannheim, Berlin, Paris oder London und fanden dort ihr Auskommen und ihre Anerkennung.

Wenn heute in einem Symposium „Musiker-Migration und Musik-Transfer zwischen Böhmen und Sachsen im 18. Jahrhundert“ die Wege dieser böhmischen Musiker und ihre Wirkungsweise näher beleuchtet werden, so schließt diese Tagung nur an das seit dem Mittelalter gute Verhältnis zwischen Künstlern aus verschiedenen Nationen an. Erst der Nationalismus des 19. Jahrhunderts und der verheerende Chauvinismus des 20. Jahrhunderts haben Mißtrauen und Vorurteile unter den Nachbarn gesät. Es ist unter anderem Aufgabe einer seriösen Wissenschaft, vorurteilsfrei die Leistungen aller zu betrachten und auch dadurch einen Beitrag zur Verständigung unter den Nachbarn zu leisten.

Gerade die Musik als eine universelle Sprache bedarf ständiger Anregungen aus vielerlei Richtungen. Die Dresdner Musikkultur war seit der Gründung der Hofkapelle im Jahre 1548 immer offen für das, was sich in Europa auf musikalischem Gebiet an Neuem entwickelte. Die Beziehungen zu Italien, speziell zu Venedig, waren seit Heinrich Schütz' mehrfachen Besuchen sehr eng und fruchtbringend. Aber die Dresdner Musikkultur nahm nicht nur Eindrücke von außen auf, sondern gab sie auch weiter, so in Gestalt von Schütz oder Johann Gottlieb Naumann nach Kopenhagen oder Stockholm.

Mich als gebürtigen Prager erfüllt es mit Freude, dass so viele Kollegen aus meiner Heimatstadt mit neuen Erkenntnissen über das Wirken böhmischer Musiker an diesem Kolloquium teilnehmen. Ich habe gern die Schirmherrschaft über die Veranstaltung übernommen und wünsche ihr nicht nur einen erfolgreichen Verlauf, sondern auch einen Mehrwert an wissenschaftlichen Erkenntnissen, die das Verständnis zwischen den Böhmen und den Sachsen befördern hilft.

Dr. Jiří Gruša

Mehr Informationen finden Sie in dem Bericht zum Internationalen Symposium.